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#3 Hass, Ressentiments und großalbanische Träumereien

Ich spürte, wie sich die schweren Rucksäcke und Taschen in meine Oberschenkel hineindrückten. Gleichzeitig stießen meine Füße in verkrampfter Position an den Vordersitz, konnten aber auch nirgends hin ausweichen. Alex und ich waren soeben in einen monströsen, schwarzen SUV zugestiegen, um nach Novi Sad in Serbien zu trampen. Eigentlich war in dem riesigen Audi sehr viel Platz, doch das Fahrzeug war bis an die Decke beladen.

Am Grenzübergang nach Serbien
Hier haben wir gerade eben die ungarisch-serbische Grenze überquert und laufen hinein nach Serbien. Nur kurze Zeit später werden wir in den SUV von Fati und Ahmed zusteigen.

Am Steuer saß Fati, direkt daneben auf dem Beifahrersitz Ahmed. Die beiden begrüßten uns herzlich in ihrem Auto: „Wie schön, dass ihr hier seid und dass wir euch kennenlernen können!“. Obwohl unsere Beine und Füße schon nach wenigen Minuten schmerzten, fühlten Alex und ich uns sehr willkommen in der charmanten Gesellschaft.

Identitäten und Zugehörigkeitsgefühle

„Wir waren geschäftlich in Ungarn und fahren gerade wieder zurück nach Hause, also nach Skopje. Dafür müssen wir einmal von Norden nach Süden quer durch Serbien fahren.“, erklärte Fati. „Verstehe“, entgegnete ich, „Skopje ist doch die Hauptstadt von Mazedonien. Ihr seid also Mazedonier?“ – „Nein, nein! Wir sind Albaner!“, erwiderte Ahmed erschrocken.

Identitäten und Zugehörigkeitsgefühle sind kompliziert im westlichen Balkan und längst nicht immer deckungsgleich mit der Nationalität einer Person. Vielmehr spielt dabei die Muttersprache eine gewichtige Rolle.

Großalbanische Träumereien

„Ihr müsst eins wissen: Wir haben sehr gelitten in den letzten einhundert Jahren, also wir Albaner“, ergriff Fati daraufhin das Wort. „Schon kurz nach der Staatsgründung Albaniens im Jahr 1912 wurden mehrere Millionen Albaner in die Türkei deportiert. Danach haben die Serben hier dominiert. Tito, der Führer des sozialistischen Jugoslawien nach dem 2. Weltkrieg, hat uns Albanern Land weggenommen und uns gezielt unterdrückt! Das war eine schlimme Zeit!“

Kurz darauf fing Ahmed an zu träumen: „Was wir brauchen ist Großalbanien! Einige Landstriche von Montenegro, von Griechenland, etwa die Hälfte von Mazedonien und natürlich der Kosovo. Überall dort leben mehrheitlich Albaner. Und das sollte alles zu Albanien gehören! Nur so kann es langfristig Frieden geben“, war sich Ahmed sicher.

Seid bitte vorsichtig, wenn ihr auf Serben trefft. Man kann ihnen nicht trauen und man sollte sich besser zwei oder drei Mal überlegen, ob man sich mit einem Serben anfreunden kann!

Am Autobahnring von Novi Sad entließen uns Ahmed und Fati schließlich mit einem gut gemeinten Ratschlag aus ihrem Audi: „Seid bitte vorsichtig, wenn ihr auf Serben trefft. Man kann ihnen nicht trauen und man sollte sich besser zwei oder drei Mal überlegen, ob man sich mit einem Serben anfreunden kann!“

Wie kann ich diese Situation einordnen?

Die gesamte Fahrt über hatten Fati und Ahmed mit großer Hingabe geredet und nicht mit Details gespart, als es sie von grauenhaften Verbrechen erzählten, die Serben an Albanern begangen haben sollen. Und so glaube ich ihnen, dass sie sich als Opfer wahrnehmen, als die Unterdrückten der letzten einhundert Jahre. Ganz schnell entwickelt sich eine Sympathie für diese vermeintliche Außenseiter-Rolle und da ist man schon ganz kurz davor, auch all diese Vorurteile gegenüber den Serbisch sprechenden Balkanbewohnern zu glauben.

In der ungarischen Puszta entspannen Alex und ich bei Karin und Gerd. Im Anschluss trampen wir nach Serbien. Dabei lernen wir einige tiefgreifende Probleme kennen, die auf dem westlichen Balkan ...
In der ungarischen Puszta entspannen Alex und ich bei Karin und Gerd. Im Anschluss trampen wir nach Serbien. Dabei lernen wir einige tiefgreifende Probleme kennen, die auf dem westlichen Balkan schon seit längerem für Konflikte, politische Lähmung und Instabilität sorgen.

Wie kann ich mir ein Urteil darüber erlauben, dass sich einige Menschen im Westbalkan in der ethnische Opferrolle sehen oder mit einer anderen Gruppe nichts zu tun haben wollen? Zu viele Grausamkeiten sind hier in den letzten Jahrzehnten auf allen Seiten geschehen. Vor allem in den 1990er Jahren während der Jugoslawienkriege ging es Schlag auf Schlag: Flucht, Vertreibung, Völkermord. Allesamt Grausamkeiten, welche die Menschen selbst, ihre Familien oder ihre Freunde an der eigenen Haut erfahren haben. Ich selber bin weit weg von diesen Gräueltaten aufgewachsen.

Doch glaube ich zumindest zu erkennen, dass mit so viel Hass und mit solch feindseligen Ressentiments ein friedliches Zusammenleben auf dieser Halbinsel schwierig bleiben wird. Großalbanische und großserbische Träume können per Definition nicht gleichzeitig in Erfüllung gehen.

Ein erster Freund in Serbien

Es fühlte sich bald so an, als hätten wir einen ersten Freund gefunden – hier in Serbien.

Die letzten verbleibenden Kilometer bis ins Stadtzentrum trampten wir dann zusammen mit Pero, einem in Novi Sad geborenen Serben. Auch bei ihm fühlten wir uns richtig wohl. Er war unglaublich freundlich und gab uns auf dem kurzen Weg zahlreiche Tipps für seine Heimatstadt – genauso wie Ahmed und Fati es zuvor für Mazedonien gemacht hatten. Als wir kurz davor waren auszusteigen, schrieb er uns sogar seine Telefonnummer auf: „Falls ihr mal Probleme habt, ruft mich einfach an!“, sagte Pero, als er uns lächelnd den Zettel entgegenhielt. Es fühlte sich bald so an, als hätten wir einen ersten Freund gefunden – hier in Serbien.

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