Ein Gefühl von Abenteuer und Aufregung durchströmte uns. Doch ein simples Paar Gummistiefel, dunkelgrünes Modell, kippte die Stimmung. Plötzlich überkamen uns Schauder und Grusel.
Unterwegs im Sutjeska Nationalpark
Zu dritt waren wir unterwegs im Sutjeska Nationalpark, im äußersten Südosten Bosniens. Unser Tagesziel hatten Alex, Verena und ich bereits geschafft, waren in absoluter Einsamkeit hinauf auf den Orlovača gestiegen. Auch von dort oben, bei einem atemberaubenden Panorama-Ausblick über die grün-graue Bergwelt des Dinarischen Gebirges, hatten wir keinen einzigen Menschen gesehen. Nirgends.
Nach dem Abstieg hatten wir den Motor unseres Mietwagens gestartet und folgten seither einer Straße in nördliche Richtung. Wir wollten raus aus der Wildnis und wieder zurück in die Zivilisation.
Unverhofft auf einem Offroad-Abenteuer-Track
Auf unserer Karte war dieser Weg als gelb markierte „Regionalstraße“ eingetragen. Die auf den ersten paar hundert Metern geteerte Straße mit dem Kürzel R-434 entpuppte sich jedoch schon alsbald eher als Offroad-Abenteuer-Track denn als zumutbare Transportstrecke.
Immer und immer wieder mussten wir anhalten, räumten Gestrüpp und Steine aus dem Weg oder überprüften riesige Wasserlöcher auf Tiefe und Konsistenz. Meistens stocherten Alex oder Verena, ausgerüstet mit einem langen Ast, bedächtig in den großen Pfützen und suchten nach einer geeigneten Fahrrinne. Auf anderen Passagen war die Straße derart zersetzt, dass die rauen Furchen kaum zu überwinden waren.
Zu dem Gefühl des Abenteuers in der Einsamkeit und der skurrilen Komik der Straße mischte sich eine nicht ganz unberechtigte Angst um unser Auto. Denn anstatt mit einem geländefähigen Allrad-Fahrzeug, versuchten wir unser Glück auf der R-434 mit einem kleinen, spärlich bereiften VW Golf.
Gruselige Gummistiefel am Wegesrand
Lange waren wir so unter höchster Konzentration über die steinige Piste gefahren. Aber dann erschrak ich plötzlich: „Was war das denn?!“ Direkt vor uns, dort am Wegesrand, standen Gummistiefel – ganz langsam fuhren wir auf sie zu und ließen sie dann links liegen. Ein absolut neuwertiges Paar, dunkelgrünes Modell, der eine Stiefel fein säuberlich neben dem anderen. „Weshalb standen dort Gummistiefel?!“ Seit heute Vormittag hatten wir doch keinen einzigen Menschen gesehen.
Während die Sonne allmählich tiefer sank, wurden die Schatten der uns umgebenden Bäume und Büsche immer länger und zeichneten bizarre Muster auf die Fahrbahn. Wir wären nun wirklich froh gewesen, diese verdammte Straße endlich verlassen zu können! Doch wir konnten nichts an unserer Situation verbessern. Mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von sechs oder sieben Kilometern pro Stunde schleppten wir uns quälend langsam nach Norden – schneller ging es hier einfach nicht.
Noch ein schauriger Moment
Wir hatten die Gummistiefel-Situation schon fast wieder vergessen, waren ganz und gar fokussiert darauf, unseren Golf heile über die Straße zu bringen, da erschien plötzlich eine Holzhütte im Dickicht neben uns. Offensichtlich verlassen. In den Fensterläden hingen dicke Spinnweben, alles war dunkel. Nur wenige Meter dahinter tauchte völlig unerwartet ein Lieferwagen auf. Lackiert in demselben dunklen Grün wie die Gummistiefel, ließ er uns erschaudern: Die Fensterscheiben waren allesamt getönt, die Ladefläche sperrangelweit geöffnet. „Was war hier los? Waren hier doch irgendwo Menschen?“
Was war hier los? Waren hier doch irgendwo Menschen?
Ab jetzt richteten wir unsere Augen nicht mehr nur auf die Fahrbahn, sondern auch in den Wald hinein, links und rechts von uns. Es gruselte uns gewaltig. Wir suchten nach weiteren Anzeichen für Menschen, wollten keine Bewegung im Gebüsch neben uns verpassen. „Raschelte dort etwas?“
Seicht und sanft zurück in die Zivilisation
Noch zwanzig oder dreißig Minuten kämpften wir uns so voran. Dann, und wir konnten unseren Augen kaum glauben, sahen wir auf einmal ein Stück Teerfläche vor uns. Ein schönes Stück Teerfläche! Keine Schlaglöcher, keine Furchen, keine Spurrillen – einfach ein schönes, ebenes Stück Teerfläche. Wir hatten das Ende der R-434 erreicht und schauten kurz zurück. Vor über drei Stunden waren wir losgefahren und hatten nicht einmal 20 Kilometer zurückgelegt.
Nun nahmen wir Geschwindigkeit auf, glitten fortan seicht und sanft über eine Hauptstraße und erreichten so schon bald die ersten Dörfer. Wir waren zurück in der Zivilisation.