Es war merkwürdig still im Innenhof unseres Hostels. Einige Angestellte standen mit gesenktem Kopf und leerem Blick in der Nähe der Rezeption. Sie sagten kein Wort. Aus einer anderen Ecke vernahmen wir abwechselnd leises Wehklagen und lautes Schluchzen. Was war denn hier passiert?!
Die fabelhafte Landschaft Kappadokiens
Alex und ich waren in einer kleinen Stadt in Kappadokien und damit fast genau im Zentrum der Türkei. Bei einer Fahrradtour hatten wir am Nachmittag einige Canyons der näheren Umgebung erkundet und dabei eine ganz und gar fabelhafte Landschaft entdeckt.
In der sogenannten Taubenschlucht reihten sich Felsformationen wie fluffige Sahnehäubchen aneinander. Hier trafen filigrane Formen auf wuchtige Felswände. Andernorts warf das Gestein das Licht der Sonne mal in grellem Weiß, mal in blassem Dunkelrot zurück.
Am bizarrsten jedoch kamen uns die freistehenden Felsentürme vor, die hier auch als Feenkamine bezeichnet werden. Ansatzlos ragte das kalkweiße Gestein mal zehn, mal dreißig Meter in die Höhe und bildete dabei die verschiedensten Formen.
Häufig zeichnete sich dabei ein massiv-bauchiger oder ein elegant-schmaler Zylinder vor dem Tiefblau des Himmels ab – überdacht von einem kegelförmigen Hut. Es fühlte sich an, als seien wir auf einem anderen Planeten oder gar in einer ganz anderen Welt unterwegs!
Rückkehr ins Hostel
Noch in ausgelassene Gespräche über die beeindruckende Landschaft vertieft, wunderten wir uns nach der Rückkehr sofort über die gedrückte Stimmung. Noch vor wenigen Stunden war die Atmosphäre in der Hostelanlage ausgelassen gewesen; wir hatten reges Treiben um das Frühstücksbuffet und den Pool herum beobachten können. Nun war alles in ein seltsames Schweigen gehüllt und wir hatten das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
Unser Gefühl trog uns leider nicht. „Seht ihr den Gullideckel dort im Innenhof? Heute Nachmittag sollte etwas in diesem Schacht repariert werden, der Deckel wurde dafür entfernt“, erklärte uns ein Mitarbeiter.
Ein schrecklicher Unfall
„Doch dann ist ein schrecklicher Unfall passiert. Unser Chef ist in den Schacht gestürzt, viele Meter hinab! Es gab noch einige Versuche, ihn zu retten. Es war aber schon zu spät. Er ist dort unten gestorben.“ – „Das ist ja furchtbar“, erwiderten wir erschrocken und wussten gar nicht so recht, wie wir uns verhalten oder was wir noch sagen sollten.
Ein dumpfes Gefühl der Trauer und des Entsetzens lag auch am folgenden Tag über der Hostelanlage. Die Angestellten versuchten zwanghaft den Betrieb aufrecht zu erhalten, waren mit ihren Gedanken aber offensichtlich ganz woanders.
Knapp zehn ältere Frauen versammelten sich in einem Stuhlkreis im Innenhof, um gemeinsam zu trauern. Sie trugen dunkle Kleider und Kopftücher. Ohne viel miteinander zu sprechen, weinten sie ab und an. Solche Beileidsbesuche sind üblich in der Türkei – vor allem in der ersten Woche nach dem Todesfall.
Verschiedene Welten prallen aufeinander
Derweil schienen einige Touristen ihren Anstand und ihr Feingefühl in ihrem Heimatland zurückgelassen zu haben.
Ein französischer Familienvater klagte in der Rezeption mit einer ausschweifenden Dramatik von seinem Leid, weil einige seiner Koffer auf dem Flugweg nach Kappadokien verloren gegangen seien. Er klang dabei so, als könne nichts Schlimmeres auf dieser Erde geschehen.
Dies ist kein Ort der Trauer! Wir möchten uns hier erholen; dafür haben wir schließlich bezahlt!
- Touristen in unserem Hostel
Währenddessen beschwerten sich tatsächlich bereits die ersten Hostel-Besucher über die gedämpfte Atmosphäre in der Unterkunft. Auf die beschwichtigenden Erklärungsversuche des Rezeptionisten erwiderten die Touristen nur: „Dies ist kein Ort der Trauer! Wir möchten uns hier erholen; dafür haben wir schließlich bezahlt!“
Fassungslos und beschämt schaute ich zu Alex hinüber. Ganz offensichtlich prallten hier in Kappadokien gerade verschiedene Welten aufeinander – und zwar nicht nur landschaftlich gesehen!