Es war fast gänzlich dunkel um uns herum. Beklemmend dicht hing die niedrige, tiefschwarze Decke über unseren Köpfen. Raue, felsige Wände umgaben uns. Wir konnten das feuchte Gestein beinahe an unserer Haut fühlen. In der etwas stickigen Luft lag eine dumpfe, schwere Stille sowie der Geruch von Weihrauch und von Kerzenwachs.
Aufbruch ab Podgorica
Vor wenigen Stunden waren Alex, ihre Schulfreundin Vroni und ich unter ganz anderen Bedingungen aufgebrochen. In der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica war es taghell, sonnig und laut, als wir in einen Zug einstiegen. Mit diesem fuhren wir zuerst hinaus aus der Stadt und schon bald durch eine weitläufige, mehrere Kilometer breite Schlucht. Etwa dreißig Kilometer von Podgorica entfernt und mitten in diesem Tal stiegen wir aus, scheinbar mitten im Nirgendwo. Von dort aus wanderten wir durch einen Wald und schließlich einen immer steiler werdenden Weg hinauf.
Aus der seichten Steigung war mittlerweile eine Felswand geworden, die sich eindrucksvoll vor uns auftürmte. Hoch oben, fast am Grat angelangt, hielten wir plötzlich inne. In das karge, beige-gräuliche Gestein war ein imposantes Kloster hineingemauert worden. Die in warmen Gelbtönen gestrichene Front schloss mit dem natürlichen Verlauf der Schlucht ab und schien so förmlich in einer Nische zu verschwinden.
Nur einige Meter weiter oben erstaunten wir erneut. Eine fast schon glänzend weiße Wand hob sich dort deutlich von der sandfarbenen Umgebung ab. Doch trotz ihrer Größe, mit drei Stockwerken und aufgesetztem Glockenturm, schien sich auch diese Kirche in die massive Felswand hinein zu quetschen und wirkte dadurch wesentlich schmaler und kleiner, als sie tatsächlich war.
Das Kloster Ostrog
Das Kloster Ostrog ist nicht nur für das kleine Land Montenegro äußerst bedeutend; es ist eine der wichtigsten, spirituellen Bauten der serbisch-orthodoxen Kirche. Gegründet wurde es im Jahr 1656 von Vasilije Ostroški, der dort fünfzehn Jahre später verstarb. Mittlerweile wird er als Heiliger der serbisch-orthodoxen Kirche von vielen Gläubigen verehrt; seinen Gebeinen werden zahlreiche Wunder nachgesagt.
Gegründet wurde das Kloster Ostrog im Jahr 1656 von Vasilije Ostroški. Heute pilgern jährlich über 100.000 Menschen dorthin.
Deshalb pilgern viele Menschen nach Ostrog, jedes Jahr sind es über 100.000. Nicht nur orthodoxe Christen, auch Katholiken und Muslime, hoffen dort auf Heilung ihrer Krankheiten oder auf göttlichen Beistand bei ihren Problemen.
Beeindruckendes Zusammenspiel von Natur und Architektur
Wir setzten unsere Erkundungstour über das Klostergelände fort und betraten die obere, weiße Kirche. Wundervolle und filigrane Mosaike dekorierten die brachialen und groben Felswände. In kräftigen Farben zeigten sie uns Szenen aus der Bibel. Wir erkannten Heiligenscheine, Engelsflügel, Jesus und Maria. Im höchsten Stockwerk angekommen genossen wir die spektakuläre Aussicht hinab in die von Wald bewachsene, grüne Schlucht.
Währenddessen zogen um uns herum die Gläubigen über das Gelände. Einige schauten sich um, waren begeistert wie wir von dem beeindruckenden Zusammenspiel aus Natur und Architektur und knipsten Erinnerungsfotos mit ihrem Handy. Andere liefen zielstrebiger voran, wirkten in sich gekehrt. Wir beobachteten einen älteren Mann, der mit geschlossenen Augen ein Gebet vor sich hinmurmelte und nichts anderes mehr wahrzunehmen schien. Eine Familie zündete bedächtig einige Kerzen an. Und eine Frau neben uns hielt ein Foto einer geliebten Person in der Hand, während sie bitterlich weinte.
Zuletzt betraten Alex, Vroni und ich einen dunklen, höhlenartigen Raum. Im schwachen und flackernden Kerzenlicht stand ein uralter Mann mit schwarzer Robe und weißem Rauschebart. Während er ein Weihrauchfass langsam hin und her schwenkte, präsentierte er uns die Gebeine Vasilijes, die hier bis heute aufgebahrt liegen.
Rückreise mit Überrauschung
Tief beeindruckt von unserem Besuch der Klosteranlage brachen wir zur Rückreise nach Podgorica auf. Anstatt den beschwerlichen Weg zur Bahnstation zurückzuwandern, versuchten Alex, Vroni und ich zu trampen. Schon nach wenigen Minuten stoppte ein kleiner Pkw für uns.
Der freundliche Fahrer brachte uns nicht nur bis in die montenegrinische Hauptstadt zurück; er ließ sich auch nicht davon abhalten, uns eine kleine Flasche mit geweihtem Wasser aus der Klosteranlage zu schenken. So konnten wir uns noch für eine längere Zeit immer wieder zurückerinnern, an unseren Tagesausflug nach Ostrog!