Verloren und absolut überfordert standen Alex und ich genau in der Mitte einer riesigen, kreisrunden Halle. Wir wussten nicht, wohin wir als nächstes gehen sollten und wie wir unserem Tagesziel näherkommen konnten. Eine Situation, die wir am selben Tag schon einmal ganz ähnlich erlebt hatten:
Unsicher und hilflos in einem winzigen Dorf
Nur drei Stunden zuvor befanden wir uns unsicher und ziemlich hilflos in der Mitte eines geräumigen Platzes. Drei junge Männer, mit denen wir getrampt waren, hatten uns in einem Anfall übereifriger Hilfe bis hierher und somit leider mehrere Kilometer von der vielbefahrenen Schnellstraße weggebracht. Nun standen wir auf der einzigen Kreuzung in einem winzigen Dorf. Wir sahen eine Handvoll kleiner Häuser, ein paar Obstbäume und dahinter einige Ackerflächen.
Einzig ein älterer Mann saß im Schatten einer Kiefer auf einer Bank und beobachtete uns. Nach einiger Zeit stand er auf und kam langsam auf uns zu: „Nereye?“ – „Wohin solls gehen?“, sagte er und unterstrich seine Frage, indem er seine Hände hob und mit den Schultern zuckte. Wir versuchten ihm ebenfalls gestikulierend zu erklären, dass wir eigentlich in Richtung Ankara unterwegs waren und zurück zur Schnellstraße wollten, nun aber hier in ziemlich aussichtsloser Position gefangen waren. Wir waren uns nicht sicher, ob der alte Mann uns verstanden hatte.
Eine gänzlich unerwartete Aktion
Plötzlich drehte er sich wortlos um, lief los und ging mitten auf die Straße, während aus der Entfernung immer lauter werdende Motorengeräusche zu hören waren. „Was hat er jetzt vor?“, fragten wir uns aufgeregt. Ein sich uns annähernder Lkw hatte keine andere Wahl als scharf abzubremsen, um letztlich nur wenige Meter vor dem Mann stehen zu bleiben. Nun ging er schnurstracks zur Fahrertür und bat den Fernfahrer, uns doch bitte mitzunehmen. Dieser hatte kaum noch eine andere Wahl und willigte schließlich ein. Und so stiegen wir in die Fahrerkabine zu – natürlich erst, nachdem wir uns bei unserem Verbündeten ausführlich bedankt hatten.
Nach der Lkw-Fahrt und drei weiteren per Anhalter gestoppten Pkws standen wir drei Stunden später in der zentralen Busstation von Izmit. Hier erlebten wir ein kleines Déjà-vu, wenngleich unsere Überforderung in dieser kreisrunden Halle nun nicht aus einem Mangel an Möglichkeiten, sondern vielmehr aus einer nicht zu fassenden Fülle derselbigen herrührte. Wir sahen uns um:
In der Busstation von Izmit
Entlang der Wände reihte sich ein kleines Busunternehmen an das nächste. Über jedem waren gleich mehrere, große Schilder angebracht. Dort lasen wir neben den Reisezielen auch den Namen des Unternehmens, der meist in knallig bunten Lettern geschrieben war. Dazwischen gab es ein paar Kiosk-Läden, einen Imbiss und einen Tee-Salon.
Verglichen mit europäischen Busbahnhöfen war dieses Setting alleine schon skurril genug. Doch es war die Atmosphäre, die diesen Ort so außerordentlich werden ließ.
Denn diese Busstation glich einer Markthalle ohne von außen festgelegter Ordnung. Es gab dort keine neutralen Ticket- oder Informations-Schalter. Ganz im Gegenteil traf in dieser Busstation einfach Angebot auf Nachfrage – und zwar ungeordnet, regellos, anarchisch.
Die Reisenden strömten in einem herrlichen Chaos durch die Halle, stets auf der Suche nach ankommenden Verwandten, nach angelieferten Waren oder nach einem Reiseunternehmen, das sie zu ihrem Ziel bringen kann. Die Busbetriebe gaben wiederum alles, um auf ihre Angebote hinzuweisen. In Marktschreier-Manier riefen so einige Männer immer wieder die angesteuerten Reiseziele durch die Halle: „Istanbul, Istanbul, Istanbuuul“ – „Adana, Adana, Adana“ – „Uuurfa, Urfa, Urfa“.
Ein erneutes Angebot zur Hilfe?
Plötzlich näherte sich uns ein älterer Mann und stellte uns eine bekannte Frage: „Nereye?“ – „Wohin möchtet ihr fahren?“ – „Nach Ankara“, antworteten wir. Er machte eine einladende Handbewegung und führte uns geradewegs zum Verkaufsstand seines Reiseunternehmens.
„Für 50 Lira pro Person kann ich euch mit nach Ankara nehmen“, erklärte er uns eifrig. Anders als noch vor drei Stunden hatten wir es nun mit einem Verkäufer zu tun. Deshalb bedankten wir uns und wollten zunächst weitergehen, um uns bei anderen Reiseunternehmen nach Preisen und Fahrzeiten zu erkundigen. „Nun gut“, sagte der Mann rasch, „ich gebe euch einen Rabatt. Ihr müsst nur 40 Lira bezahlen!“
So hatten wir an diesem Reisetag zumindest auch eine Sache gelernt: Busfahren ist in der Türkei Verhandlungssache.
Wir willigten ein und fuhren schon nach wenigen Minuten in einem Fernbus los in Richtung Ankara. So hatten wir an diesem Reisetag nicht nur viel erlebt, sondern zumindest auch eine Sache gelernt: Busfahren ist in der Türkei Verhandlungssache.